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Die Macht der Augenzeugen.

Der Medienwissenschaftler Chris Tedjasukmana analysiert Videoaktivismus im Netz
Web-Dokumentationen über die Umweltverschmutzung im China oder von WikiLeaks veröffentliche Videos von Board eines US-Kampfhubschraubers – dies sind spektakulärste Fälle des neuen Video-Netz-Aktivismus: Hierzu forscht Chris Tedjasukmana und betreut das Projekt „Bewegungsbilder 2.0 – Videoaktivismus zwischen Social Media und Social Movements“am filmwissenschaftlichen Institut der Freien Universität Berlin. Mit ihm sprach Ralf Hutter.
Welche Arten des Videoaktivismus untersuchen Sie? Welcher Personenkreis interessiert Sie dabei?

Wir beschreiben unterschiedlichen Formen von aktivistischen Online-Videos, die sie alle mit dem Web 2.0 entstanden sind. Ein Beispiel ist die Online-Doku „Under the Dome“ über die Luftverschmutzung in China, die in den ersten drei Tagen 150 Millionen Klicks hatte und so der Zensur zuvorkam. Uns geht es aber auch um Augenzeugenvideos wie die aus der „Black Lives Matter“-Bewegung gegen die polizeilichen Morde an Schwarzen in den USA, um Kampagnenvideos von politischen Organisationen und Gruppen sowie um geleakte Videos wie das berühmte „Collateral Murder“ von Wikileaks. In unserem Projekt „Bewegungs-Bilder 2.0“ untersuchen wir nun zum Beispiel, welche rhetorischenund affektiven Strategien sie verwenden. Traninigsmaterial.

Sie betrachten also nicht nur die Videos organisierter Gruppen, sondern auch spontan gemachte Handyvideos.

Ja. Sowohl traditionellere, bewegungsorientierte Videokollektive als auch spontane Augenzeugenvideos. Ein weiterer Fall sind Youtuber mit einem Millionenpublikum, die sehr politisch agieren. Da gibt es beachtliche Unterschiede: Von Meinungsmache über Faktenchecks bis zu abstrusen  Verschwörungstheorien ist da alles dabei.

„Dieser neue zivilgesellschaftliche Online-Videoaktivismus wirft eine Reihe gesellschaftlich bedeutsamer Fragen auf“ Das sagen Sie in der Vorstellung Ihres Projekts. Welche Fragen sind das denn?

Die augenfälligste ist vielleicht die nach der politischen Partizipation. Während in der ersten Phase des Web 2.0 der „digitale Citoyen“ und neue Partizipationsmöglichkeiten beschworen wurden, gab es ungefähr ab 2011 eine große Desillusionierung. Nun fielen die Hetze und manipulativen Techniken in dem Segment auf. Mittlerweile kennen wir ja auch die Propagandavideos des Islamischen Staates.

Eine gesellschaftlich bedeutsame Frage behandelte auch die mediale Debatte über die Grenze zwischen Journalismus und Aktivismus. Inwieweit spielt diese Grenze bei Ihrer Forschung eine Rolle?

Wir konzentrieren uns explizit auf die aktivistische Seite. Aber die von Ihnen genannte Grenze verschiebt sich. Die aktivistische Herangehensweise hat eine lange Tradition, die unter dem Stichwort „Gegenöffentlichkeit“ parallel zum Journalismus verläuft. Die neuen technischen Möglichkeiten verstärken und verkomplizieren das Potenzial. Das muss jetzt näher untersucht werden.

Das traditionelle und wohl immer noch vorherrschende Verständnis von Journalismus ist, dass er von einer kleinen Minderheit betrieben wird, die einen privilegierten Zugang zu Informationen hat. Kann Video-Aktivismus, dieses Verständnis von Journalismus zu bekämpfen?

Die Augenzeugenvideos zeigen ja, dass das Informationsprivileg des traditionellen Journalismus zumindest teilweise eingeschränkt wird. Die Informationen sind im Netz. Die Herausforderung ist, journalistische Standards zu bewahren und darüber hinaus unter den neuen Bedingungen neu zu denken. Das kann unser Projekt nicht allein leisten, aber wir wollen dazu beitragen. Geplant ist z.B., mit Aktivist_innen Qualitätsstandards für die Videoproduktion zu erarbeiten.

Handy-Videos, die Polizeigewalt dokumentieren, haben in mehreren Ländern Proteste angefacht. Betrachten Sie solche Auswirkungen von Video-Aktivismus nicht?

Doch. Zuallererst analysieren wir zwar das Material an sich. Wir können aber darüber nicht reden, ohne die Medienumgebung, die politischen Kontexte und Folgen betrachten. Wir können auch fragen: Geht es bei dem Video um die Dokumentation von etwas abgeschlossenem, wie dies typischerweise Dokumentarfilme tun, oder will ich eine Bewegung anfachen? Das fällt bei diesen Videos in eins. Videoaktivismus ist Teil einer breiteren Bewegung.

Er ist also Teil dessen, was er abbildet?

Genau.

In Spaniens wurden 2015 Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit erheblich einschränkt. Auch ist es dort nun verboten, Polizisten im Einsatz abzubilden. Beschäftigen Sie sich auch mit der Repression gegen Videoaktivist_innen?

Ja.  Wir schauen uns das Traninigsmaterial  der US-amerikanischen Organisation „Witness“ an, die Videoaktivismus stärken möchte. Da geht es zum Beispiel um geschützte Datenübertragung und um Software, die Metadaten über Zeit und Ort automatisch speichert, es aber im Repressionsfall ermöglicht, alle Daten mit einem Klick zu löschen. In Spanien haben übrigens Aktivist_innen auf das neue Gesetz mit einer spektakulären Hologramm-Demo reagiert. Demoaufnahmen wurden auf transparente Scheiben projiziert. Das Verbot wurde symbolisch umgangen. Der neue Online-Videoaktivismus ist also durchaus vielseitig.