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Das Video „Women’s March on Washington” der Schauspielerin und Netz-Persönlichkeit Allie Marie Evans setzt zwischen affizierendem Aufruf und teilnehmender Dokumentation auf die Wirkung einer shared experience.

© by Allie Marie Evans

In ihrem bewegungsnahen Video „Women’s March on Washington“ hält die die junge US-Amerikanerin Allie Evans ihre persönlichen Eindrücke vom gleichnamigen Protestmarsch fest. Bei diesem hatte sie am 21. Januar 2017 gemeinsam mit tausenden Gleichgesinnten auf den Straßen der amerikanischen Hauptstadt gegen den tags zuvor inaugurierten US-Präsidenten Donald Trump, sowie für Frauen- und Menschenrechte demonstriert. Wenige Tage später lud Evans, bei der es sich um eine relativ prominente Netz-Persönlichkeit handelt, das Video auf ihren YouTube-Kanal hoch. Das Video dient einerseits Außenstehenden als Einblick in die Protestbewegung. Andererseits schreibt es sich selbst als affiziertes und affektiv wirksames Dokument in das kollektiv-historische Bewusstsein der Bewegung ein.

Stilistisch orientiert sich das Video am Vlog-Subgenre des Follow Me Around: Bei diesem nehmen Filmende ihre Zuschauenden mit in ihren Alltag, indem sie permanent die Kamera bei sich tragen und auf diese Weise das Tagesgeschehen subjektiv gefiltert aufbereiten. Auch in Evans‘ Video soll sich das YouTube-Publikum durch ausgewählte Videoschnipsel in die Atmosphäre des Protestmarsches einfühlen können. Ein möglichst umfassendes Zeugnis des Geschehens abzulegen ist dabei allerdings nicht das Ziel – vielmehr werden nur ausgewählte Ausschnitte gezeigt. Die amateurhafte Ästhetik der Bilder – aufgenommen von einer einzigen Person mit einer kleinen Handkamera – suggeriert dabei nicht nur ein hohes Maß an Authentizität, sondern betont zudem auch die Bewegungszugehörigkeit der Filmerin. Evans inszeniert den Protestmarsch nicht als neutrale Beobachterin von außen, sondern filmt den Marsch als Teil der Menschenmenge selbst: Sie teilt die Werte, Ansichten und Ziele der Bewegung und dokumentiert sie entsprechend von innen heraus.

Diese Identifikation spiegelt sich deutlich in der Auswahl der oft nur wenige Sekunden langen Videoschnipsel wider: Gezeigt werden emotionale Bilder des Zusammenhalts, wie zum Beispiel ein junges, Schwarzes Mädchen, das mit einem anderen Schwarzen Demonstranten abklatscht, während die Mutter des Kindes gerührt zu lachen beginnt. Durch das Anwenden eines leichten Slow-Motion-Effekts hebt Evans den symbolischen und emotionalen Gehalt dieses kurzen Moments besonders hervor. Das affektive Potenzial des Videos fußt jedoch weniger auf der Darstellung der anderen Protestierenden als vielmehr auf Selfie-Aufnahmen und Point-of-View-Shots der Filmerin selbst. So zeigt sich Evans etwa, gemeinsam mit ihrer Begleiterin, fröhlich lachend vor einem Meer aus Protestierenden, dessen Ausmaß sie sichtlich überrascht. Das authentisch anmutende Staunen lässt sie aber nicht nur als Protagonistin des Videos, also als Identifikationsfigur greifbar werden, sondern vermittelt darüber hinaus den Eindruck, die ‚echte‘ Allie Evans zu sehen, die sich ungekünstelt selbst auf Video festhält. Statt die Forderungen der Protestierenden argumentativ aufzugreifen, vermitteln Evans‘ Reaktionen aus dem Geschehen heraus Emotionen wie Freude und Begeisterung.

So wird glaubhaft, dass Evans aus eigener, aktivistischer Überzeugung anwesend ist. Auch wird durch die häufig verwendeten POV-Shots die körperliche Anwesenheit vor Ort herausgestellt und in die Video-Ästhetik eingeschrieben: Den Zuschauenden wird so das Gefühl vermittelt, selbst Teil der Menge zu sein und mitzulaufen – besonders deutlich etwa in dem Moment, als Evans die Kamera im Gehen nach unten auf ihre Schuhe richtet. Gleichzeitig lädt Evans die Demonstration über den Moment hinaus mit historischer Bedeutung auf: Der Hauptteil endet abrupt, indem Evans die Linse der Kamera mit der Hand verdeckt – ein in Vlogs häufig angewandtes Motiv, um einen inhaltlichen Einschnitt zu signalisieren. Es folgen Ausschnitte aus Protestreden historisch bedeutsamer Widerstandsbewegungen: Martin Luther Kings „I have a dream“, Betty Friedans Auftritt beim Women’s Strike for Equality im August 1970. Auch Hillary Clinton, Trumps politische Widersacherin, ist bei der Vierten UN-Weltkonferenz der Frauen in Beijing 1995 zu sehen, zudem wird die US-amerikanische Schauspielerin America Ferrera während ihrer Eröffnungsrede beim Women’s March On Washington gezeigt. Mit dieser Aneinanderreihung stellt Evans den Protestmarsch, dem sie selbst beiwohnte, auf eine historische Bedeutungsebene: Der Women’s March on Washington sei das aktuellste Glied in einer langen Kette, die von Martin Luther King bis in die Gegenwart reiche – und damit die einzig logische Konsequenz angesichts noch immer herrschender Ungerechtigkeit.

„Women’s March on Washington“ vermittelt so im Kern eine shared experience: Das Video dient als Motivationsimpuls für Sympathisierende, als affektiv wirksame Erinnerung für ehemalige Teilnehmerinnen und Teilnehmer, und ermöglicht ferner auch Unbeteiligten, einen Einblick in den Marsch sowie die dahinterstehende Bewegung und ihr Selbstverständnis. Gleichzeitig ist der Clip als persönlich vermitteltes historisches und affiziertes Dokument einer Teilnahme-Erfahrung selbst Teil des kollektiven Bewegungsbewusstseins und formt dieses mit. Insbesondere durch seine Fokussierung auf die Einzelperson Allie Evans, ihre Reaktionen und ihre (wortwörtliche) Perspektive auf das Geschehen, stellt das Video die Freude der Protagonistin und das Gemeinschaftsgefühl beim Protest auf positive, ansteckende Art und Weise dar. Trotz fehlender Handlungsaufforderung birgt das Video somit Mobilisierungspotential. Das spiegelt sich auch in den Kommentaren wider: Dort schreiben Nutzer und Nutzerinnen, wie gerührt sie durch das Video seien, und dass sie sich ebenfalls zu politischem Engagement bestärkt fühlten.

Violetta König