Das Video PEGIDA-ABENDSPAZIERGANG AM 09.03.2015 ist ein Mobilisierungsvideo für die Demonstrationen von Pegida Dresden und gibt einen Einblick ins Innere der fremdenfeindlichen Bewegung.

 

PEGIDA-ABENDSPAZIERGANG AM 9.03.2015 ist ein Mobilisierungsvideo, in dem die islamophobe und fremdenfeindliche Organisation Pegida – „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ – zur Teilnahme an einem Protestmarsch in Dresden aufruft. Über die Motive der Bewegung und ihrer Anhänger war lange relativ wenig bekannt. Die Führungsebene um Lutz Bachmann rief die Pegidisten sogar dazu auf, nicht mit der sogenannten „Lügenpresse“ zu sprechen. Umso offener und kommunikativer zeigen sich die Organisation und ihre Anhänger in den Sozialen Medien, insbesondere in Facebook-Gruppen, die als zentrales Kommunikationstool der Bewegung dienen. Die dezentrale Organisationsstruktur der Bewegung spiegelt sich dabei in voneinander unabhängigen, regionalen Facebook-Gruppen wider. Dieser Umstand sowie die Vielzahl an inoffiziellen Accounts und Fake-Accounts machen es schwer, die Bewegung und ihre Aussagen präzise zu erfassen. Das Video PEGIDA-ABENDSPAZIERGANG wurde am 08.03.2015 auf der als offiziell deklarierten Facebook-Seite von Pegida gepostet, wobei unklar ist, ob und welche regionalen Ableger durch sie repräsentiert werden. Bis zu ihrer Löschung durch Facebook am 19.07.2016 war sie die aktivste und mit über 200.000 Mitgliedern stärkste Gruppe.

Der YouTube-Channel, auf dem das Video einen Tag zuvor hochgeladen wurde, trägt den Namen „Aufbruch“. Das Wort markiert einen Anfang, einen Auftakt oder eben Aufbruch zu einer Reise in etwas Fernes, Neues oder Anderes, zugleich einen romantischen, erhabenen Moment.

Das Thema des historischen Aufbruchs prägt das gesamte Video; es wird eingeführt durch das zentrale Motiv der Menschenmenge, die als groß und machtvoll in Szene gesetzt wird. Die Demonstranten strömen auf den Zuschauer zu durch eine Häuserschlucht, deren Begrenzung den Bildraum verdichtet, welcher von der Masse gänzlich ausgefüllt wird. Durch den eingesetzten Timelapse-Effekt erhält der Demonstrationszug einen abstrakten Charakter: Einzelne Menschen sind kaum kenntlich, Lücken in ihren Reihen unsichtbar. Etwa in der Mitte der Sequenz wird die Zeitraffung noch beschleunigt. Der Zustrom an Menschen wird stärker wie auch die affektive Dynamik des Bildes, wiederum unterstützt durch die Musik. Der Ton schwillt an und das zunächst langsam, getragen gespielte Klavier wird nunmehr von Geigen und choralen Stimmen übertönt. Gleichzeitig spiegelt die Inszenierung auch das Selbstverständnis der Bewegung wider als ein unabwendbarer politischer Wandel: Wir sind viele, und wir werden immer mehr.

Die Semantik eines historischen Moments wird am Anfang des Videos begründet: Wir sehen in der ersten Einstellung eine steinerne Bank vor den geschichtsträchtigen Mauern des Albertinums in der Dresdener Altstadt. Unterlegt mit dem erwähnten getragenen Pianospiel erscheint in einer Überblendung die Frage: „Was werden wir unseren Enkelkindern in 20 Jahren hier erzählen?“ Die Antwort folgt in der Mitte des Videos, wenn der Menschenstrom anschwillt und die Chorstimmen einsetzen: „Dass wir dabei gewesen sind“. Das Bild des Großvaters, der als Zeitzeuge eines historischen Ereignisses seinem Enkel ein besseres Leben ermöglicht, ist ein so pathetisches wie stereotypes, mit dem das politische Handeln der Gegenwart als bereits abgeschlossen, zukünftig erinnert präsentiert wird. Das Schwarzweiß der Bilder betont die historische Distanz. Pegida selbst inszeniert sich dadurch als bedeutendes Ereignis nationaler Geschichte, und das Video mündet in die Aufforderung und scheinbar einzig logische Konsequenz „Schließt Euch an!“ Das hier vermittelte Selbstverständnis von Pegida als politischer Naturgewalt stößt unter den Pegida-Anhängern auf affektive Resonanz. In den Kommentarspalten ist von „Gänsehautstimmung“ und „magischer Atmosphäre“ die Rede. Ein Kommentator zitiert sogar Victor Hugo mit den Worten: „Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist!“

Im Gegensatz zu den sonst eher ungeschickt produzierten Filmbeiträgen, die in den Pegida-nahen sozialen Netzwerken geteilt werden, hebt sich das vorliegende Video durch seine vergleichsweise aufwändige und aussagekräftige Inszenierung ab. Der Urheber ist jedoch auch hier nur ein einziger engagierter Teilnehmer. Das Video ist also nicht Ausdruck einer Mobilisierungsstrategie der Führungsebene, sondern ein ungefilterter Einblick in die Selbstwahrnehmung der Pegida-Anhänger, die sonst so wenig über sich preisgeben.

 

Vincent Abert