Der Stop-Motion-Kurzfilm Save Ralph nimmt uns mit in den Alltag eines fiktiven Versuchskaninchens und führt uns die grausamen Tierversuchspraktiken der Kosmetikbranche vor Augen. Durch emotionalisierendes Storytelling und geschicktes Seeding sollen die Zuschauer*innen zum Handeln bewegt werden.

 

Tierversuche sind nicht notwendig, um sichere Kosmetikprodukte herzustellen – das hat die Forschung längst bewiesen (vgl. The Humane Society of the United States, o.D.). Trotzdem sind Tierversuche in der Kosmetikbranche in vielen Ländern weiterhin Alltag und teilweise sogar gesetzlich vorgeschrieben. Um das zu ändern, veröffentlichte die Tierschutzorganisation Humane Society International am 06. April 2021 den Kurzfilm Save Ralph auf ihrem YouTube-Kanal.

In der Stop-Motion-Mockumentary Save Ralph begleiten wir das namensgebende Kaninchen durch seinen Alltag. Während seiner Morgenroutine berichtet Ralph von den Verletzungen die er sich als Tester für Kosmetikprodukte zugezogen hat: ein blindes rechtes Auge, Tinnitus und ein durch Chemikalien verbrannter Rücken. Später bekommt Ralph unter schmerzvollem Schreien eine Flüssigkeit in das linke Auge injiziert. Danach ist er offenbar erblindet, bleibt jedoch tapfer. Folgender Schriftzug wird abschließend eingeblendet: „No animal should suffer and die in the name of beauty. Help Humane Society International ban cosmetic testing on animals globally”. Die Botschaft der Tierschutzorganisation ist eindeutig: Tierversuche in der Kosmetikbranche sollen weltweit verboten werden. Dafür werden Unterschriften gesammelt, die das Verbot von Tierversuchen in der Kosmetika-Entwicklung fordern.

Die Grausamkeit von Tierversuchen wird in Save Ralph durch Anthropomorphisierung und ein individuelles Schicksal vermittelt. Individuelle Geschichten und die Erfahrungen Einzelner sind bei der Erzeugung von Emotionen und Empathie effektiver als Zahlen und Statistiken . (Borum Chattoo, 2020, S. 103). Ralph wird zur Symbolfigur und zum Sprachrohr für alle Versuchstiere. Besonders relevant für die Charakterzeichnung von Ralph ist der starke Kontrast zwischen Ton- und Bildebene. Die allererste Einstellung lässt uns sofort zu erkennen geben, dass Ralph an starken Verletzungen leidet. Doch anstatt sich darüber zu beklagen, kommentiert er diese mit stiff upper lip: „It´s not a big deal. I mean it only really hurts when i like breath or move around or whatever“. Sein naiv-tapferer, stets positiver Umgang mit der Situation macht ihn zum Sympathieträger. Gleichzeitig erzeugen das Machtverhältnis und die für uns klar erkennbare Ungerechtigkeit ein tiefes Mitgefühl für Ralph. In einem kurzem Moment verliert sich Ralph in seinen Gedanken und sinniert darüber, dass er ohne diesen Job vermutlich auf einer Wiese leben würde – wie ein ganz normaler Hase. Gleichzeitig rechtfertigt er seine furchtbaren Verletzungen damit, dass er es schließlich für die Menschen mache: „We do it for the humans right? They are far superior to us animals“. Ralphs Aufopferungsgabe, seine Unschuld, die Tapferkeit im Angesicht der ausweglosen Situation und die tiefe Ungerechtigkeit des Ganzen sollen Empathie und Entsetzen bei den Zuschauenden auslösen und darüber das Bedürfnis erwecken, Ralphs Leben, und damit das aller Versuchstiere, zu verbessern.

Die Save Ralph-Kampagne zeigt, wie effektiv und weitreichend Online-Aktivismus sein kann und wie man Soziale Netzwerke und die Viralität des Internets für die gezielte Verbreitung politischer Botschaften nutzen kann. Einer der größten Erfolgsfaktoren der Kampagne war die Zusammenarbeit mit zahlreichen Celebrities. So wurde die englische Sprachfassung von Taika Waititi, Zac Efron, Ricky Gervais und Olivia Munn vertont. Hinzu kommen zehn weitere internationale Stars, darunter Denis Villeneuve und Maggie Q, die direkt am Projekt beteiligt waren, sowie über 100 Influencer*innen weltweit, die die Botschaft von Save Ralph über Soziale Medien an ihre Fans trugen (vgl. Gadomski, 2022). Die Effektivität dieses star-basierten Online-Aktivismus zeigte sich sehr deutlich in Brasilien: Dort fand eine Save Ralph Celebrity Influencer Challenge statt, die in 1,6 Millionen Petitionsunterschriften zum Verbot von Tierversuchen resultierte (vgl. Gadomski, 2022). Die Stars fungierten bei dieser Kampagne als Zündfunke für das Lauffeuer, welches sich anschließend unter dem Hashtag #SaveRalph durch die großen Social-Media-Plattformen bewegte. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung spielte in der Kampagne ebenfalls eine wichtige Rolle: Der Kurzfilm erschien am 6. April 2021 – drei Wochen vor dem Ende der Legislaturperiode in Mexiko. Die dadurch erhöhte politische Aufmerksamkeit wurde gezielt genutzt, um möglichst viele Menschen zur Unterschrift der Petition zu bewegen. Innerhalb von nur zwei Wochen konnten über eine Millionen Unterschriften gesammelt werden, die schließlich dem mexikanischen Senat vorgelegt wurden. Das Ergebnis: Mexiko wurde das erste Land in Nordamerika, das Tierversuche für Kosmetikprodukte gesetzlich verbietet (vgl. Gadomski, 2022).

Ein weiterer Erfolgsfaktor ist der einzigartige Stop-Motion-Animationsstil. Andy Gent, der Puppenmacher von Save Ralph, äußert sich dazu folgendermaßen: „And the beauty of stop motion animation […] is that you can tell very complicated, very challenging stories and bring them to life in a non-threatening way that helps educate people” (Gent, 2021). Save Ralph steht dadurch im Kontrast zu unzähligen Abschreckungsvideos über Tierversuche, die es im Internet zu finden gibt. Dort werden die grausamen Tierversuchspraktiken ganz explizit und in kaum erträglichen Bildern gezeigt. Die Ästhetik von Save Ralph dagegen macht die Thematik für die Zuschauenden aushaltbar, ohne Einbußen in der emotionalen Wirkung in Kauf zu nehmen – verhindert wird lediglich ein affektives Wegschauen. Der Fokus liegt auf emotionalisierendem Storytelling statt auf expliziten Bildern (vgl. Campbell, 2021).

Das Hervorrufen emotionaler Reaktionen durch das Zeigen expliziter Ungerechtigkeiten erinnert an aktivistische Videos wie Most Shocking Second a Day oder Animal Testing in 60 Seconds. Diese „fokussieren [ebenfalls] auf emotionsstarke Ereignisse, die zur Parteinahme zwingen“ (Eder, Hartmann & Tedjasukama, 2020, S. 77). Bei Save Ralph werden die expliziten Bilder durch den Animationsstil jedoch abgemildert, um das Gezeigte erträglicher zu machen. Hier fallen wiederum Parallelen zur Videoreihe Draw My Life von PETA auf. PETA nutzte hier den 2013 populären Video-Trend, bei dem ein*e Erzähler*in durch Illustrationen auf einem Whiteboard die eigene Lebensgeschichte nacherzählt. Somit berichtet beispielsweise die Ente Gaby von ihrem kurzen Leben in einer Fabrik der Marke Canada Goose, die echte Tierfedern für ihre Kleidung nutzt. Hier wird ebenfalls auf drastische Darstellungen verzichtet. Stattdessen wird genau wie bei Save Ralph emotionalisierendes Storytelling genutzt, um die Rezipient*innen durch narrative Persuasion zum Handeln zu bewegen. Beide Videos nutzen außerdem die Geschichte einer Stellvertreter*innenfigur (Ralph bzw. Gaby), um auf ein strukturelles Problem aufmerksam zu machen. Sie unterscheiden sich allerdings in ihrer Botschaft und ihrem Call-To-Action. PETA fokussiert stark auf die individuelle Konsumkritik und die simple Botschaft: „Please, don’t support Canada Goose“. Zusätzlich findet sich in der Videobeschreibung ein Link mit dem Titel How To Go Vegan, der ebenfalls nur auf individuelle Verhaltensänderungen abzielt.Save Ralph behandelt Tierversuche dagegen als ein strukturelles Problem und strebt mit ihrem gesetzlichen Verbot auch eine strukturelle Lösung an. Seine geschickte Nutzung der Aufmerksamkeits- und Verbreitungslogiken sozialer Medien machen das Video zu einem besonders effektiven Beispiel für professionelle NGO-Kampagnen im Social Web.

Philipp Kübert

Literatur

Borum Chattoo, Katy (2020). Story Moments: How Documentaries Empower People and Inspire Social Change. Oxford University Press. DOI:10.1093/oso/9780190943417.001.0001

Campbell, Joshua (2021). Humane Society Internationals campaign gets 100+ million online hits. Marketing Gazette. https://marketinggazette.co.uk/2021/05/11/hsis-save-ralph-campaign-makes-its-way-to-achieving-campaign-targets/

Eder, Jens, Hartmann, Britta & Tedjasukama, Chris (2020). Bewegungsbilder: Politische Videos in Sozialen Medien. Bertz-Fischer.

Gadomski, Donna [Jackson Wild]. (17.01.2022). 2021 JW Summit: Save Ralph – Impact Campaign Case Study [Video]. YouTube. https://www.youtube.com/watch?v=zwEdUIUXW_U&ab_channel=JacksonWild

Humane Society International. Save Ralph. https://www.hsi.org/saveralphmovie/

The Humane Society of the United States. Cosmetics Testing FAQ. https://www.humanesociety.org/resources/cosmetics-testing-faq