UNICEF erzählt in dem Animationsclip „A Soldier at 14“ die wahre Geschichte eines verschleppten Kindersoldaten, der einer bewaffneten Gruppierung im Südsudan schließlich entkommen konnte.
Wie werden Kinder zu Soldaten, und was müssen sie in Gefangenschaft durchstehen? Trotz weltweiter Ächtung werden bis heute immer noch zehntausende Jungen und Mädchen in konfliktreichen Regionen von Streitkräften und bewaffneten Gruppen rekrutiert und zu Kindersoldaten, Spähern und Botschaftern ausgebildet – die Mädchen dienen den Soldaten auch als Sexsklavinnen. Anlässlich des jährlichen Red Hand Day am 12. Februar, dem Welttag gegen den Einsatz von Kindersoldaten, veröffentlichte UNICEF den Animadoc „A Soldier at 14“ auf YouTube. Die Kinderhilfsorganisation verbreitete das Video außerdem via Facebook, Instagram, Twitter und der eigenen Website. Produziert wurde es in Zusammenarbeit mit der südafrikanischen Werbeagentur Rooftop. Seit fünfzehn Jahren produziert die Agentur mediale Inhalte mit Fokus auf Menschenrechte und Gesellschaftsfragen in Hinblick auf eine friedliche und nachhaltige Zukunft. Rooftop arbeitet unter anderem mit NGOs wie UNICEF, Stiftungen sowie multilateralen Organisationen zusammen und entwickelt „stories that matter“.
Um auf das Schicksal von Kindersoldaten im Südsudan, aber auch in anderen Ländern aufmerksam zu machen, lässt die Organisation ehemalige Kindersoldaten zu Wort kommen, sie selbst sollen Zeugnis davon ablegen, was ihnen widerfahren ist. Der damals 14-jährige James ist einer von ihnen: Er wird zur Ankerfigur und zum Erzähler von „A Soldier at 14“. Er berichtet davon, wie bewaffnete Kämpfer ihn entführten und sein Dorf überfielen. Erst nachdem er im Kampf angeschossen, schwer verwundet und zum Sterben zurückgelassen wurde, konnte er gerettet werden.
Anknüpfend an den Publikumserfolg „Waltz with Bashir“ (Ari Folman, 2008) über die Traumatisierung eines israelischen Soldaten wählt UNICEF Animationen im Comic-Stil, um dem Off-Erzähler James eine Gestalt zu verleihen. Diese hybride Form des Animadoc ergibt sich zunächst einmal aus dem Mangel an dokumentarischem Bildmaterial, ist aber zugleich die Stärke dieses dokumentarischen Genres, indem durch die subjektive, intime Erzählung und die Veranschaulichung im Bild eine besondere Nähe zur Figur im Zentrum geschaffen wird. Es ist James‘ Stimme, es ist seine Perspektive, und es sind seine Emotionen, die uns lenken: Mithilfe seines Voice-over-Kommentars werden wir durch die Bilder geführt. Die Erzählung bleibt allerdings nicht auf die Perspektive von James beschränkt, sondern wird höchst effektiv kontrastiert mit der Parallelperspektive der Mutter, die um ihr totgeglaubtes Kind trauert.
Die beiden Perspektiven greifen auf Bild- und Tonebene ineinander: Der jugendliche Erzähler beschreibt, wie er als Kindersoldat unter Androhung von Gewalt gezwungen wurde, die Waffen gegen seine eigenen Leute zu richten, während seine Mutter anrührend von ihrem Verlust und ihrer Hoffnung auf Rückkehr des Sohnes berichtet. Durch die Erzählungen der Mutter kann sich der Zuschauer in das Geschehen und die Gefühlswelt einer Mutter, die jahrelang über das Befinden ihres Sohnes im Unklaren gelassen wird, einfühlen. Mit dem Video appelliert UNICEF an das ‚allgemein Menschliche‘ und bietet eine Form der Empathie über alle kulturellen Grenzen hinweg an: Grundsätzlich geht es hier um Emotionen, die allgemein nachvollziehbar sind – die Trauer um das Verschwinden des eigenen Kindes. Das macht den Film für den Zuschauer so nah, persönlich und emotional. UNICEF zielt mit Sätzen, wie „It was so hard, not knowing where he was” und “We had a funeral, without a body to bury”, auf eine emotionale Bindung des Zuschauers ab. Dass die Strategie von UNICEF hier aufgeht und die Perspektive der Mutter eine affektive Wirkung auf die Zuschauer besitzt, zeigt ein Facebook-Nutzer, der sich als Elternteil in die Gefühlswelt der Mutter einfühlt: „I can’t even imagine if that was my son :‘(. Strong woman and hope all kids to be safe wherever they are.”
Generell entspricht die Erzählung klassisch-linearem Storytelling: Die Hauptfigur und der Sympathieträger, der 13-jährige James, muss als Ernährer der Familie seine Heimat aufgrund eines einschneidenden Ereignisses verlassen. Es handelt sich hier um eine Verkehrung der Heldenreise, um eine düstere, invertierte Initiationsgeschichte. Zwar kommt James nach drei Jahren wieder nach Hause zurück, er trägt allerdings die Wunden des Krieges – psychisch wie physisch. Seine Erfahrungen haben sich buchstäblich körperlich eingeschrieben: Er ist versehrt, geht auf Krücken, ein Kriegsheimkehrer, ein Gebeugter.
Seine Erzählung wird durch die Geschehnisse in der Heimat formal eingerahmt. Visuell kontrastiert wird das Leben vor und nach der Rekrutierung. Der Film arbeitet bei Rückblenden aus der Heimat mit helleren Farben, wodurch die Szenerie leicht, schwerelos und lebendig wirkt. Die Erinnerungssequenz wird mit James‘ Rekrutierung am Fluss eingeführt. Das Wasser steht sinnbildlich für James‘ Vergangenheit und seine verlorene Kindheit, gleichzeitig aber auch für die Hoffnung auf eine frohe Zukunft. Dem Fluss kommt als Lebenselixier eine spezielle Rolle zu, er betont James‘ Bedeutung für seine Familie. Der Junge, der zum Ernährer seiner Familie heranwachsen soll, wird zum Kindersoldat und Mörder. Die Erinnerung an die Kindheit, als ein Land, das er gewaltsam verlassen muss, wird mit hellen Farben, stimmungsvoller Musik und Kinderlachen angezeigt.
Dem Symbol des Wassers stehen solche für Tod und Bedrohung gegenüber. Nach hellen Farben folgt die dunkle Welt, die dem Zuschauer jegliches angenehme Gefühl nimmt: Eine Krähe schreit auf, bedrohliche Musik setzt ein. Das Auftauchen eines Militärwagens am See bedeutet für James das Ende seiner Kindheit – von nun an lernt er zu töten.
Nicht allein dunkle und gedämpfte Farben, auch die Kameraperspektive deutet auf den nahenden Tod. Als James angeschossen und zum Sterben zurückgelassen wird, fängt die Kamera dies aus der Vogelperspektive, in einem top shot auf den Sterbenden am Boden ein. Auf der einen Seite wirkt James durch diesen Blick von oben hilflos und unwichtig, nahezu wie ein Insekt auf einer Wiese. Auf der anderen Seite greift hier eine filmische Konvention, die für den nahenden Tod und die den Körper verlassende Seele steht.
Für die Kriegserinnerungen wählt der Film eine extreme Kadrierung – entweder durch Licht und Schatten, Bäume und den Wald in der Totalen, Feuer oder durch Soldaten, die James von rechts und links in Gewahrsam nehmen. Jeder dieser Ausschnitte lässt James verloren und hilflos wirken. Geräusche wie Pistolenschüsse, Propellerumdrehungen des Hubschraubers, das Flackern des Feuers oder auch menschliche Schreie verstärken auf der Tonebene die bedrückende Atmosphäre.
Mithilfe einer subjektiven Kamera nimmt der Zuschauer James‘ Sicht ein, als dieser gegen seine eigenen Leute zu kämpfen gezwungen ist. Durch den Point-of-View wird der Zuschauer dazu angehalten, James‘ Kriegserlebnis mitzuerleben. Wie schwer es dem Jungen fällt, auf Menschen zu schießen und sie gar zu töten, wird durch die Schwarzblende verdeutlicht, die für sein Augenschließen beim Abfeuern des Gewehrs steht.
Mit „A Soldier at 14“ wird eine allegorische Geschichte des Krieges erzählt, in die sich UNICEF als Retter selbst einschreibt. Der Film weist mit bildlichen textuellen Hinweisen darauf hin, dass James die Zusammenführung mit seiner Familie der Hilfsorganisation verdankt. Die Farbe Blau, Symbol der Hoffnung, zieht sich als motivische Kette durch den Film. Hoffnung liegt nicht allein im Wasser, sondern auch in dem UNICEF-Logo auf dem Jeep, der James in sein Dorf zurückbringt. Aufgegriffen wird das für UNICEF charakteristische Blau auch in den erklärenden Texttafeln sowie in James‘ blauen Rucksack auf einer Fotografie von ihm, mit dem die Geschichte am Ende gleichsam beglaubigt wird.
Ebenso wie „Waltz with Bashir“ arbeitet der Film mit einem Wechsel des Darstellungsmodus und verwendet nunmehr fotografische Aufnahmen. Mit James‘ Rückkehr in seine Heimat bricht die Fiktion: Das Opfer James bekommt ein Gesicht und eine konkrete Verkörperung. Die Comic-Charaktere werden zu realen Personen, die ‚True Story‘ wird authentifiziert und zugleich zu einem Modell vieler Geschichten rekrutierter Kinder. Die Markierung „This is a true story“ leitet diesen Wechsel des Realitätsstatus ein. Damit verbindet sich zugleich ein emotionaler Umbruch: Die Hoffnung, dass es sich bei der schrecklichen Geschichte um bloße Fiktion handeln möge, muss endgültig aufgegeben werden. Diese Dinge passieren hier, in unserer Welt und wir sind verantwortlich dafür, etwas dagegen zu tun.
Primäres Ziel von UNICEF ist es, Mitgefühl für das Schicksal von Kindersoldaten zu wecken. Spenden werden daher nicht explizit erbeten. „A Soldier at 14“ spielt raffiniert mit dem Zuschauer, überzeugt mit einer visuell wie auditiv ansprechenden Narration. Mit der Werbeagentur Rooftop konsultiert UNICEF Spezialisten auf dem Gebiet des immersiven Storytellings. Der Film setzt auf eine menschliche Erfahrung: James und seine Mutter liegen sich bei ihrem Wiedersehen in den Armen. Appelliert wird an menschliche Grundemotionen, wie die Werbeagentur auf ihrer Webseite betont: „We realised we had everything we needed to connect with audiences. Because we all understand hope, love and family.“. James‘ Leidensgeschichte besitzt daher eine hohe affektive Kraft, die hier strategisch genutzt wird – „a story that matters“. Dass diese Strategie aufgeht, belegen auch die vielen Kommentare in den sozialen Netzwerken: „Heart touching Story“, „I am deeply touched“.
Kathleen Melanie Jung