Initiiert von einer neurechten Wochenzeitung, polemisiert diese Kampagne mittels bewusster Falschdarstellungen und agitatorischer Rhetorik gegen die angeblichen Folgen einer „rot-grünen Genderpolitik“.
Die rechtskonservative Wochenzeitung Junge Freiheit nahm im Jahr 2015 die Debatte um den rot-grünen Bildungsplan der baden-württembergischen Landesregierung zum Anlass, eine Kampagne gegen die sogenannte „Ideologie des Gender-Mainstreaming“ ins Leben zu rufen. Ebenso wie die Junge Freiheit inhaltlich der Neuen Rechten zuzuordnen ist, sticht auch das Kampagnenvideo „Gender mich nicht!“ durch rechtspopulistische Rhetorik hervor, die Vorurteile und Missverständnisse rund um die Gender-Thematik ausschlachtet und überspitzt. Dabei ist es nicht nur Ziel des Videos, zum Protest gegen den rot-grünen Bildungsplan zu mobilisieren, sondern es sollen durch das Propagieren der inhaltlichen Leitlinie der Zeitung auch Sympathisanten und somit neue Abonnenten gewonnen werden.
„Gender mich nicht“ beginnt mit betont romantisierten Naturbildern: ein Sonnenaufgang, unterlegt mit harmonischen Klavierklängen, dann eine Reihe von Tier-Eltern samt Nachwuchs in freier Wildbahn. In Form mehrerer rhetorischer Fragen kontextualisiert eine Sprecherstimme aus dem Off die Aufnahmen, den ironischen Tonfall kaum verbergend: „Das Geschlecht? Nur ein soziales Konstrukt. Männlein und Weiblein? Nur anerzogen. Die Familie? Ein Auslaufmodell, das es zu überwinden gilt.“ Die Botschaft ist eindeutig: Geschlecht und Familie seien eben kein bloßes soziales Konstrukt. Die abgebildeten Tiere – noch zudem vergleichsweise „süße“ Exemplare, die schneller in ein vermenschlichendes Licht gerückt werden können – stünden nicht nur stellvertretend für einen natürlichen Sexualdimorphismus, sondern bildeten auch familienähnliche Strukturen. Eine konstruktivistische Sicht auf menschliche Geschlechtsidentität sei im wahrsten Sinne des Wortes „wider die Natur“. Die betont ruhige Erzählweise unterstreicht diese Prämisse: Die dargelegte Position sei eine dermaßen offensichtliche Wahrheit, dass man sich keine Mühe machen müsse, deren Richtigkeit einem Beweisführungsverfahren zu unterziehen.
Dann jedoch der Schock: „Millionen Jahre der Evolution von ein paar Gender-Ideologen auf den Kopf gestellt“, klagt der Sprecher. Die biologische Naturordnung werde aufgrund der Verblendung einiger weniger umgekrempelt – im Widerspruch zum seit Urzeiten bestehenden System. Dass die hier karikierte Gender-Debatte in Wahrheit nicht von wenigen angeblich fanatischen Ideologen dominiert wird, sondern international Wellen geschlagen hat, lässt das Video außer Acht. Den Zuschauern wird stattdessen eine beinahe satirische Überspitzung der tatsächlichen wissenschaftlichen Positionen unterbreitet: Die eigene Position wird als Wahrheit propagiert, während Teilaspekte der Gegenposition dekontextualisiert und überspitzt werden, um deren angebliche Absurdität vorzuführen. Auch bewusste Falsch¬darstellungen der theoretischen Aussagen scheut das Video nicht: Nicht nur wird bewusst die begriffliche Trennschärfe zwischen den Konzepten des biologischen Geschlechts (Sex) und der sozialen Geschlechtsidentität (Gender) verwischt, sondern auch ohne Nennung von Belegen behauptet, Ziel der „Gender-Ideologen“ sei die „Schaffung eines neuen Menschen“.
Als vermeintliche Expertin liefert Autorin Birgit Kelle O-Töne, in denen sie sich perplex gibt ob der Absurdität des „GenderGaga“. Auch in Fachkreisen, so wird behauptet, stoße die „Gender-Ideologie“ auf Widerstand – verschwiegen wird jedoch, dass es sich bei Kelle nicht etwa um eine Wissenschaftlerin, sondern um eine Belletristik-Autorin handelt. Konsequent und humorlos arbeitet das Video einen dünnen Katalog gleichbleibender Rhetorik ab und setzt auf die konstante Wiederholung der immer gleichen Argumente. Diese sogenannte „proof by assertion“-Strategie ist jedoch in keinster Weise stichhaltig: Eine Aussage wird nicht umso wahrer, je öfter sie wiederholt wird. Auffällig ist zudem die reduzierte syntaktische Komplexität des Sprecher-Kommentars, der geradezu zwanghaft auf provokante Hypophora – rhetorische Fragen, die im Anschluss selbst beantwortet werden – fixiert scheint: „Die Methode? Frühsexualisierung und Indoktrination von Kindern schon ab dem Vorschulalter. Der Trick? Einführung durch die Hintertüre, ohne Aufklärung der Öffentlichkeit.“
Spätestens hier sind Stil und Rhetorik des Clips – die Verwendung ironischer Tiervideos, sentimentaler Klavierbegleitung und überspitzter Wortwahl – nicht mehr eindeutig von einer Parodie rechtspopulistischer Positionen zu unterscheiden. Die Dekonstruktion auf simpelste Argumentationsmuster und plakative Bebilderung entbehrt jedes Anspruchs auf Seriosität. Im Versuch, den Inhalt der Anti-Gender-Kampagne auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu kondensieren, um sie jedem verständlich zu machen, führt sich das Video selbst ad absurdum. Einzig, dass es sich nachweislich um eine echte Aktion der „Jungen Freiheit“ handelt, lässt noch auf seine Ernsthaftigkeit schließen.
Es folgt der Aufruf zur Teilnahme an einer Demonstration gegen den sogenannten „GenderGaga“. An dieser „Demo für alle“ – benannt in Anlehnung an den französischen Protestmarsch „La Manif pour tous“ gegen die gleichgeschlechtliche Ehe ein Jahr zuvor – nahmen unter anderem AfD-Politikerin Beatrix von Storch, Autorin Birgit Kelle und mehrere rechtsextreme Gruppierungen wie die „Identitäre Bewegung“ teil. Mit dem Slogan „Für wahre Vielfalt, gegen rot-grüne Einfalt“ wird der Begriff der Vielfalt hier heteronormativ umgedeutet: Die traditionelle Familie – bestehend aus Vater, Mutter, Kind – sei wahre, da biologisch determinierte Vielfalt. Vielfalt also wider die ideologische „Gleichmacherei“ durch Frühsexualisierung von Kindern: „Gender, Dildo, Lederpeitsche, Gruppensex“. Die Behauptung, solche Schlagwörter fänden Einzug in den Schulunterricht, geschweige denn in die frühkindliche Erziehung, ist absurd. Eine tatsächliche Auseinandersetzung mit der Gender-Theorie und ihren Positionen findet nicht statt, vielmehr setzt die „Gender mich nicht“-Kampagne auf Fehlinformation, Provokation und agitatorische Rhetorik. Einzelaspekte der Gegenposition werden hyperbolisch überfrachtet, um vom Fehlen von Belegen für einen Großteil der eigenen Behauptungen abzulenken. Somit wirkt das Video letztlich wie eine Karikatur seiner selbst.
Rebecca Reuter