Das Aktionsbündnis „Ende Gelände“ setzt in seinem Mobilisierungsvideo auf eine effektvolle Inszenierung zivilen Ungehorsams. Zwischen der Darstellung von Tagebauten als Abenteuer-Landschaften und dem Rückgriff auf Symbole globalisierungskritischer sozialer Bewegungen zeigt sich ein reflexiver Umgang mit Bewegtbildern als Medium der Mobilisierung.

Bei „Ende Gelände“ handelt es sich um ein seit 2014 bestehendes und europaweit vernetztes Aktionsbündnis der Anti-Atomkraft- und der Anti-Kohlekraft-Bewegung. Unter dem Motto „System change – not climate change“ formulieren die Aktivist*innen eine grundlegende Kritik an kapitalistischen Produktionsverhältnissen und die Forderung nach „Klimagerechtigkeit“. „Ende Gelände“ arbeiten mit dem für den Umweltaktivismus typischen Aktionsrepertoire des zivilen Ungehorsams. Das heißt sie übertreten einerseits bewusst rechtliche Grenzen und kündigen dies auch im Vorfeld öffentlich an. Dabei folgen sie aber nach eigenen Worten einem kollektiv erarbeiteten Aktionskonsens, demzufolge von den Aktivist*innen selbst keine Gewalt gegen Menschen und Gegenstände ausgeht. Durch Aktionen wie spektakulär inszenierte Besetzungen von Tagebauten im Rheinischen Braunkohlerevier und im Leipziger Land erzeugen sie Aufmerksamkeit, die die Aktivist*innen zur medialen Verbreitung ihrer Anliegen sowie von Bildern ihrer Aktionen nutzen: So produzieren und posten sie während der Proteste Live-Videos von den Aktionen, in denen eigene Pressesprecher*innen euphorisierend und enthusiastisch und dabei gleichzeitig sehr eloquent über die Ereignisse berichten. In ihren Statements über die Proteste formulieren sie ihr ernsthaftes Anliegen stets pointiert und berichten gleichzeitig mit einem spielerischen Unterton über ihre Aktionen, der tendenziell auf eine deeskalative Außenwirkung abzielt. Sie filmen ihre Aktionen aus unterschiedlichen Positionen, teils aus der aktivistischen Perspektive nah am oder mitten im Protestgetümmel und teils aus der Luft durch den Einsatz von zivilen Kameradrohnen.

Diese Aufnahmen sind denn auch zentrales Darstellungsmittel des kurzen Videos, das Ende Gelände zum Zweck der Mobilisierung für die Proteste im Rheinischen Braunkohlerevier vom 19. bis 24. Juni 2019 produzierte. In dieser Zeit demonstrierten mehrere tausend Aktivist*innen zusammen mit anderen Protestinitiativen wie „Fridays for Future“ in der Region gegen den CO2-intensiven Braunkohleabbau und besetzten anschließend über mehrere Tage den Tagebau Garzweiler II. Sie blockierten außerdem die Gleise zum Abtransport der Braunkohle und legten den Tagebau temporär still.

Mobilisierungsvideos – oder kurz „Mobi-Videos“ – sind spätestens seit der Erfindung von Video-Plattformen wie „YouTube“ ein wichtiges Mittel des Protests Sozialer Bewegungen. Gegenüber tradierten Mitteln wie Plakaten oder Flyern haben sie – neben den technischen Möglichkeiten ihrer schnellen und weiten Verbreitung – insbesondere den Vorteil, dass sie durch Bewegtbilder eine emotionalisierende Wirkung entfalten können. Dies tun sie häufig, indem sie spektakuläre Aufnahmen vergangener Aktionen mit schnellen Schnitten präsentieren. So auch das Mobilisierungsvideo von „Ende Gelände“, das dabei gleichzeitig auf verschiedene populärkulturelle Genres verweist.

Das Video beginnt mit einem Zoom aus dem Weltall auf die sich drehende Erde zu, bis man die Umrisse der rheinischen Braunkohletagebaue erkennt. Während der Kamerafahrt in Richtung Erde hört man vor dem Hintergrund atmosphärischer Synthesizer-Klänge die Stimme eines Aktivisten, der aufgeregt und enthusiastisch von einer offenbar laufenden Protestaktion berichtet und diese kommentiert, während wiederum im Hintergrund weitere Stimmen zu hören sind. In seiner englischsprachigen Darstellung, die von deutschen Untertiteln begleitet wird, stellt er eine Analogie der Proteste gegen den Braunkohleabbau zu Tolkiens populärkultureller Erzählung „Herr der Ringe“ her. Protagonisten der hier erzählten Phantasiewelt „Mittelerde“ sind die „Hobbits“ – kauzige, aber extrem bodenständige „common people“, die in bäuerlich-archaischen Gemeinschaften leben –, die einen ungleichen Kampf gegen die bösen und aus den höllengleichen Tiefen der Erde kommenden „Orks“ mit ihrem Anführer „Sauron“ führen.

Im nächsten Moment wechselt die Musik zu epischer Streichmusik, und wir sehen einen Demonstrationszug mehrerer hundert zumeist weiß umhüllter junger Aktivist*innen mit bunten, vor allem pinken Fahnen und Transparenten in wechselnder Darstellung aus Drohnenperspektive und aus unmittelbarer Nähe einer quasi aktivistischen Kamera im Protestzug, die sich entschlossen und schnellen Schrittes durch eine ländliche Landschaft bewegen sowie durch Baumgruppen rennen.

Die weißen Anzüge tauchten als Protestmittel bereits in den frühen 2000er Jahren in der weltweiten globalisierungskritischen – oder genauer – Alter-Globalisierungs-Bewegung auf. Damals setzten die italienischen Aktivist*innen der „Tute Bianche“, die aus dem „Ya Basta“-Netzwerk entstanden waren, die weißen Overalls zusammen mit anderen Utensilien wie Autoreifen und Helmen, in ihren Aktionen des zivilen Ungehorsams ein. Die Bedeutung der Anzüge hat sich dabei mittlerweile vervielfältigt. Neben den medial rezipierten Konnotationen der Unschuld spielen auch das dadurch erzeugte genderneutrale Auftreten bis hin zur Schutzfunktion vor polizeilicher Überwachung eine wichtige Rolle im Protest. Insgesamt haben sich die Aktivist*innen von Ende Gelände damit aber auch von tradierten Protestformen radikaler Aktivist*innen emanzipiert. Statt einförmig schwarzer Kleidung steht – neben den weißen Overalls – eher die Inszenierung von Vielfalt durch den Gebrauch unterschiedlicher Farben eine wichtige Rolle. Mit Bezug zur Genderthematik setzen sie insbesondere auch die Farbe Pink als Zeichen von „Queerness“ ein, indem sie diese für Transparente, Fahnen und weitere Kleidungsstücke verwenden – und so auch dem Problem der in linken aktivistischen Szenen immer wieder diskutierten „Mackermilitanz“ entgegenarbeiten.

Doch die Verwendung unterschiedlicher Farben hat noch weitere taktische Funktionen: Wie auch im Video zu sehen ist, wenden die Aktivist*innen die so genannte „Fünf-Finger-Taktik“ an. Sie teilen sich in mehrere Demonstrationszüge auf, die durch die Verwendung unterschiedlicher Farben gekennzeichnet sind. Diese Taktik, die ebenfalls bereits in den globalisierungskritischen Protesten zu Beginn der 2000er Jahre eingesetzt wurde hat wiederum mehrere Funktionen. In der Vergangenheit zielte diese Aufteilung auf Inklusion, indem die Protestierenden sich entsprechend ihrem bevorzugten Protesthandeln einem der „Finger“ zuordnen konnten. Das Kontinuum reichte von friedlichem bis zu gewaltvoll militantem Protest. Bei Ende Gelände verfolgen die Aktivist*innen mit der Taktik vor allem das Ziel, der Polizei die Kontrolle der Proteste und damit die Verhinderung der Blockade zu erschweren, denn fünf Demonstrationszüge lassen sich schwerer in Schach halten als einer. Auf diese Weise gelingt es ihnen in der Regel, Polizeiketten zu „durchfließen“ und Schienen oder Bagger zu besetzen.

In den folgenden Sequenzen treffen die Aktivist*innen auf „offenem Feld“ auf Polizist*innen, deren Absperrungen sie in den Staub aufwirbelnden Begegnungen wie dargestellt „durchfließen“. Auf dem Höhepunkt des Videos stoppt die Musik für einen kurzen Moment, wir sind nun mitten unter den Aktivist*innen, die uns mit offenen und teils lächelnden Gesichtern entgegenschreiten. Es folgt ein kurzer Reverse-Soundeffekt, dann wieder epische Streichmusik und damit wieder eine Kameraperspektive aus der Luft auf den Demonstrationszug vor einem Maisfeld, woraufhin die Drohnenkamera nach links schwenkt und von links der Schriftzug „Ende Gelände 2019“ in überlebensgroßen Buchstaben und wie eine meterhohe Mauer zwischen den Aktivist*innen und einem dahinter sichtbaren dampfenden Braunkohlekraftwerk erscheint, auf das sich diese zubewegen. Wir sehen weitere Bewegtbilder eines „Fingers“, der sich durch Felder bewegt, ganz vorne mit einem pinken Transparent mit der Aufschrift „Queer We Go“, im Hintergrund eines der vom Abriss bedrohten Dörfer, in dem einige der Bewohner ebenfalls ihren Widerstand gegen ihre Zwangsumsiedelung in der Initiative „Alle Dörfer bleiben“ organisiert haben. Die Aktivist*innen rennen über gepflügte Acker, bis sie die Tagebaukante erreichen und in den Tagebau eindringen. Am Ende sehen wir wieder eine Aufnahme aus der bewegten Drohnenperspektive auf einen von den Aktivist*innen besetzten Bagger vor dem dunklen Hintergrund der Abbruchkanten, auf denen wiederum in weißen Buchstaben die Daten des Protests „Rheinland 19.–24.06.“ montiert sind. Die Musik endet, der Bildschirm wird weiß und das blau-weiße Logo eines umgedrehten Hammers und Schlegels – das internationale Symbol des Bergbaus, hier nun aber auf den Kopf gestellt – erscheinen zusammen mit dem Schriftzug von “Ende Gelände“ und der Adresse ihrer Webseite.

Insgesamt setzt das Video das Terrain des Braunkohlereviers so als Abenteuer-Landschaft in Szene. In Feldern, Wiesen und Wäldern sowie schließlich als Höhepunkt in der dystopischen Tagebau-Landschaft machen die Aktivist*innen emotional intensive Erfahrungen der Dissidenz. Der Wechsel zwischen der Perspektive der Aktivist*innen, wie sie über Felder und Sandberge rennen, und monumentalen Bildern aus der Drohnen-Perspektive entspricht der Ästhetik von Fantasy- und Action-Filmen. Gleichzeitig inszenieren die Aktivist*innen auch durch die Ästhetik der Drohnenkamera – ein neues Phänomen des Protests, das das medientechnologische und medienästhetische Wissen der Aktivist*innen verdeutlicht – auf der symbolischen Ebene Gegenmacht, indem sie über ihre inszenierte Lufthoheit auch Deutungshoheit beanspruchen. Insgesamt inszenieren die Aktivist*innen ihren Protest hier als ein „image event“, wie es der Kulturanthropologe Jeffrey Juris (2008) genannt hat, d.h. als ein Protesthandeln, das in seiner lokalen Umsetzung an einem spezifischen Ort durch den spezifischen Einsatz der Körper und in der spezifischen Verwendung von Dingen, Symbolen und Zeichen, schon auf die mediale Verbreitung ausgerichtet ist. Die ländliche Umgebung des Tagebaus wird dabei in Kontrast zur dystopischen „industrial scape“ des Tagebaus gesetzt – ein Bildmotiv, wie wir es ebenfalls von Illustrationen aus der Anti-Atomkraftbewegung kennen. Die Inszenierung ihrer Aktion als „image event“ wirkt durch die emotionalisierende Darstellung mobilisierend. Gleichzeitig inszeniert das Mobilisierungsvideo durch seine Bildsprache ungleiche Machtverhältnisse und fordert diese symbolisch heraus.

Ove Sutter