Mit diebischer Freude geht eine Handvoll junger Leute durch die Stockholmer Metro. Sie ersetzen Werbetafeln durch handgemalte Kunstposter und zeigen, wie man elegant und ohne Ticket durch die Eingangsschranken der Bahnstationen gelangt. Die Aktionen der anarchischen Gruppe Planka.nu machen Spaß. Ihre Videos – halb Doku, halb Tutorial – machen ebenso Spaß und laden zum Nachahmen ein – zum Entsetzen der Verkehrsbetriebe.
Das schwedisch-norwegische Netzwerk Planka.nu (deutsch: Schwarzfahren jetzt) tritt für einen steuerbasierten und gebührenfreien öffentlichen Personenverkehr ein. 2001 gegründet als Reaktion auf die Preiserhöhung in der Stockholmer Metro – einem der teuersten ÖPNV-Systeme der Welt, engagiert sich die Gruppe inzwischen auch in der Klima- und Geflüchtetenpolitik und ist über Freepublictransports.com international vernetzt. Planka.nu ruft nicht nur zum Schwarzfahren auf und organisiert kollektive Schwarzfahrdemos. Für rund zehn Euro im Monat übernimmt der eigene Versicherungsfond p-kassan auch die anfallenden Strafgebühren.
Bekannt wurde Planka.nu vor allem durch ihre Webvideos. Auf ihren Vimeo- und YouTube-Kanälen finden sich zahlreiche Videos, in denen man sehen kann, wie Eingangsschranken ohne Fahrschein überwunden werden oder wie man mit einer Art analogem Ad-Blocker die allgegenwärtigen Werbetafeln in Metrostationen entfernen und durch Kunst ersetzen kann. Die Videos haben eine ähnliche Dramaturgie: Die Handkamera bewegt sich durch Züge und Stationen und dokumentiert die Aktionen in teils wackeligen Point of View-Shots, wie man sie aus Amateursportvideos im Netz kennt. In den meisten Fällen wird das Video mit einem aktuellen Popsong unterlegt, der die Stimmung und den Montagerhythmus vorgibt. Die Einzelvideos sind Teil der größeren, aber lokalen Kampagne und auf verschiedenen Plattformen verstreut, weshalb sie eher geringe Klickzahlen und wenige Kommentare erhalten.
Interessant ist die komplexe Zeitstruktur, die für viele aktivistische Webvideos charakteristisch ist: Sie dokumentieren sie eine Aktion in der Gegenwart, die beim Betrachten bereits in der Vergangenheit liegt; zugleich fungieren sie als Tutorials für zukünftige Nachahmung und als Werbung für die weitergehende Kampagne.
Für Planka.nu ist öffentliche Mobilität ein Grundrecht, das sie angesichts von Privatisierungen und der Verdrängung konsumschwacher Personengruppen aus den Innenstädten in Gefahr sehen – ein Prozess, den der Humangeograph David Harvey dem Projekt einer „neoliberalen Stadt“ zuschreibt. Planka.nu kämpft also nicht nur im öffentlichen Raum, sondern vor allem um den öffentlichen Raum.
Doch während viele aktivistische Webvideos ernste Themen auf ernste Weise verhandeln, zeichnen sich Planka.nu-Videos durch einen anarchischen Spaß aus, der bereits die historischen Taktiken künstlerischer und politischer Avantgarden beflügelte – vom situationistischen détournement der 1950er über die Spaßguerilla der 1970er zu den Adbusters und Culture Jams der 1990er-Jahre.
Auf den Spaßfaktor weist Planka.nu auch am Ende des Videos ADBLOCK AFK (2011) mit dem Ausdruck „w00t!“ hin, der unter Computernerds freudige Erregung bezeichnet (AFK steht für „away from keyboard“). Zum w00t!-Erlebnis trägt auch die durchgängige musikalische Untermalung bei, die in den meisten Planka-Videos zu hören ist. In ADBLOCK AFK hören wir die unautorisierte Rap-Version des Pop-Hits MIDNIGHT CITY der Gruppe M83, die der US-amerikanische Hip-Hopper Lupe Fiasco unter dem Titel THE END OF THE WORLD veröffentlichte. Der Song wurde zu einer inoffiziellen Hymne der Occupy Wall Street-Bewegung. Die elegisch-immersive Klangstruktur des Originaltitels kombiniert der Rapper mit agitatorischem Sprechgesang, wodurch die Planka-Videos zugleich beschwingt und kämpferisch wirken. Die Beschwingtheit wird auch dadurch verstärkt, dass sich die Aktivist_innen demonstrativ gelassen und sympathisch in Szene setzen. Ihre Gesichter bleiben unverhüllt, ihr Kleidungsstil ist individuell und alltäglich. Damit unterstreichen sie, dass sie lediglich ein Gemeingut in Anspruch nehmen. Wenn wir als ganz normale Menschen schwarzfahren, so die audiovisuelle Rhetorik, kannst du es auch.
Doch nicht alle zeigten sich von dieser ebenso nützlichen wie subversiven Aktion begeistert. Das schwedische Fernsehen berichtete ausführlich und lud Planka.nu ein, mit Vertreter_innen von Stadt und Verkehrsbetrieben zu diskutieren, was der Kampagne zusätzliche Publicity bescherte. Dass allerdings offizielle Würdenträger mit militanten Aktivist_innen im Fernsehen diskutieren, wäre in Deutschland nur schwer vorstellbar. Dass dies möglich ist, liegt nicht zuletzt daran, dass in Schweden das Schwarzfahren lediglich eine Ordnungswidrigkeit darstellt, in Deutschland dagegen eine Straftat, die auch Gefängnisstrafen vorsieht.
Doch auch das deutsche Fernsehen berichtete und verdeutlicht nicht nur den Kontrast zwischen Schweden und Deutschland, sondern auch den zwischen Online-Videoaktivismus und Fernsehindustrie: Der militante Aktivismus erscheint hier nur noch als praktische Option zum Geldsparen. Von w00t! und der „Lust am öffentlichen Handeln“, welche die politische Theoretikerin Hannah Arendt einst als revolutionäre Tugend beschrieben hatte, bleibt kaum etwas übrig. Gut, dass die Aktivist_innen nun auch andere Mediennetzwerke haben.
Chris Tedjasukmana