Mit augenscheinlich subversiven Strategien konfrontiert die Videokampagne der Initiative „Flüchtlinge Willkommen“ Zuschauer fremdenfeindlicher Videos mit Gegenperspektiven und ruft so zu mehr Toleranz auf – allerdings mit zweifelhaftem Erfolg.
Während der Hochphase der sogenannten „europäischen Flüchtlingskrise“ machte sich die Initiative „Flüchtlinge Willkommen“, ein Projekt des Vereins „Mensch Mensch Mensch“, in Kooperation mit der Werbeagentur FCB Zürich die steigende Popularität rechtspopulistischer Online-Videos zunutze. Ihre vorgeblich subversive Kampagne namens „Search Racism. Find Truth“ beruhte darauf, YouTubes hauseigene Werbe-Mechanismen auszunutzen und zu eigenen Zwecken zu unterwandern: Wer Hassvideos konsumieren wolle („Search racism“), so das Ziel der Kampagne, müsse sich zunächst mit der Perspektive der Flüchtlinge auseinander-setzen („Find truth“), um so schlussendlich zu mehr Toleranz und zum Umdenken angeregt zu werden.
Das Prinzip: Ist eine Monetarisierung vom jeweiligen Uploader zugelassen, wird vor dessen Videos Werbung abgespielt – diese Werbeplätze lassen sich unabhängig vom Inhalt des Videos zu bestimmten Konditionen buchen. Prinzipiell ist dies natürlich auch vor Videos mit fremdenfeindlichem Inhalt möglich, obschon solche Werbeplätze den meisten Unternehmen eher unattraktiv erscheinen dürften. Dieses geringe Interesse nutzten die Kampagnen-Macher aus, buchten selbst eine Reihe freier Slots und besetzten sie mit eigens kreierten Werbeclips. Wer sich also während der einwöchigen Laufzeit der Kampagne im April 2016 entsprechende Videos – etwa von völkischen Reden und Pegida-Demonstrationen – ansah, musste zuerst einen Werbespot anschauen, der sich nicht manuell überspringen ließ. Darin trat jeweils ein Flüchtling auf – darunter auch bekannte Gesichter wie der syrische YouTuber und Filmemacher Firas Alshater –, der die Zuschauer mit Ansichten konfrontierte, die auf den Inhalt des nachfolgenden Videos zugeschnitten waren, ihm sogar diametral gegenüberstanden. So konterte der Flüchtling Arif etwa vor einer Hetzrede Lutz Bachmanns über angeblich kriminelle Migranten, er selbst sei noch nie im Gefängnis gewesen, Bachmann hingegen schon.
Da das Publikum rechter Hassvideos derart festgefahren sei in seiner Sichtweise, dass es Meinungen außerhalb seiner ‚Blase‘ nicht mehr wahrnehme, sei es primäres Ziel der Kampagne gewesen, ebendiese Menschen mit der Gegenmeinung zu konfrontieren, gaben die Initiatoren zu Protokoll. Abgesehen von einer Handvoll Statements und einem erklärenden Video auf dem Kampagnen-Kanal bleiben jedoch viele Details über die Planung, Finanzierung und Umsetzung der Kampagne unklar: Genaueres findet sich weder auf der Webseite von „Flüchtlinge Willkommen“ noch bei FCB Zürich. Lediglich eine Reihe von YouTube-Kommentaren gibt Aufschluss darüber, dass die Kampagne nicht – wie zunächst zu vermuten – über Spenden finanziert wurde, sondern dass sie vielmehr auf einer Kooperation mit Google und YouTube basierte. Eine von vornherein geplante Zusammenarbeit zwischen Menschenrechtsaktivisten und kommerzieller Videoplattform rückt die oberflächlich subversive Guerilla-Natur der Kampagne allerdings in ein fragwürdiges Licht – ganz zu schweigen davon, dass durch das Schalten von Werbung die Uploader der Hetzvideos selbst Einnahmen verbuchen konnten, wenn auch nur geringfügige.
Tatsächlich ist auch zweifelhaft, was die Kampagne überhaupt nachhaltig bewirken konnte: Denn obwohl während ihrer einwöchigen Laufzeit sicherlich einige Rezipienten rechtsradikaler Videos erreicht werden konnten, werden nicht wenige einen Adblocker benutzt haben. Noch dazu war es aufgrund der kurzen Laufzeit nicht die eigentliche Aktion selbst, die Beachtung fand, sondern lediglich ein erklärender Zusammenschnitt, der sich im Nachhinein an Sympathisanten und Unterstützer der Initiative wandte und dabei eher wie ein professioneller Werbeclip zu Imagezwecken wirkte. Die eigentliche Werbekampagne war zu diesem Zeitpunkt längst eingestellt – stattdessen erhielt nun das Video über die Kampagne Aufmerksamkeit. Fraglich ist, ob tatsächlich das Schalten von aufklärerischer Werbung Hauptziel der Aktion war oder ob nicht vielmehr die Produktion eines viralen Retrospektive-Videos im Vordergrund stand.
Auch unter wohlwollender Betrachtung bleibt die Effektivität der Werbeclips ungeklärt. Es ist nicht ersichtlich, ob sich Zuschauer rechter YouTube-Videos so tatsächlich zum Umdenken bewegen ließen – oder ob die vorgeschalteten Werbeclips nicht vielmehr als Störelement wirkten, als „Gutmenschen-Gegenpropaganda“, die bestehende negative Ansichten über Flüchtlinge bloß noch weiter bekräftigt. Für letzteres Szenario sprechen eine auffällig hohe Zahl negativer Bewertungen des Tutorial-Videos sowie etliche Kommentare, die kritisieren, hier werde versucht, mit Gewalt eine bestimmte Meinung zu propagieren: „Je mehr ihr den Leuten den Refugees-Welcome-Wahn aufzwingen wollt“, schreibt ein Nutzer, „desto mehr bringt ihr sie dagegen auf“. In dieselbe Kerbe schlagend, wird die grundsätzliche Glaubwürdigkeit der Kampagne hinterfragt: Die Darstellung der Flüchtlinge als Helden schade der Aktion, denn die Protagonisten seien „Vorzeigemigranten“, der „üble Rest“ jedoch werde verschwiegen. Auch würden in den Werbevideos oft nicht Fakten präsentiert, sondern persönliche Fluchterlebnisse oder humorvolle Anekdoten.
Angesichts des professionellen Produktionsstandards sowohl der einzelnen Werbeclips als auch des retrospektiven Erklärvideos konnte die Kritik auf fruchtbaren Boden fallen: Wer Flüchtlingen von vornherein kritisch gegenüberstand, den wird diese Kampagne kaum zum Umdenken bewegt, sondern schlimmstenfalls eher in den eigenen Ressentiments bestärkt haben. Während die Aktion selbstverständlich auch positiv rezipiert wurde, so ging diese Zustimmung eben primär von denjenigen aus, die bereits im Vorfeld Flüchtlingen gegenüber aufgeschlossen waren – der Effekt der Kampagne entfaltete sich lediglich zirkulär. Was für die einen die große Stärke der Aktion darstellte, war in den Augen der anderen ihr größter Schwachpunkt – denn obwohl es sich die Kampagne vordergründig zum Ziel setzte, eine aufklärerische Gegenfolie zu Fremdenhass und Flüchtlingsfeindlichkeit zu liefern, verharrte sie letztlich selbst in plakativer Einseitigkeit. Eine tatsächliche Abwägung der Argumente beider Parteien fand nicht statt.
Natascha Flammann