Der rechtsextreme Aktivist Nikolai Nerling â bekannt als âDer Volkslehrerâ und inzwischen rechtskrĂ€ftig aus dem Schuldienst entlassen â besucht eine Fridays for Future-Demo, um sich als Opfer zu inszenieren und Stimmung gegen die Klimaschutzbewegung zu machen. Das Video steht paradigmatisch fĂŒr verschiedene Versuche Rechtsextremer, mit dem Besuch von StraĂenprotesten politischen Gegner*innen bloĂzustellen und im Social Web Aufmerksamkeit zu erzielen.
Â
Das Webvideo âGRETAS LYNCHMOB JAGT VLâ zeigt Nerling beim Besuch der Fridays for Future-Demonstration am 29. MĂ€rz 2019 im Berliner Invalidenpark. Bereits einige Tage zuvor hatte er fĂŒr ein anderes Video auf seinem mittlerweile gesperrten YouTube-Kanal den Versammlungsort besucht und angekĂŒndigt, von dort âaufklĂ€ren und informierenâ zu wollen. Seine Follower*innen waren dazu aufgerufen, mit eigenen, âklimaskeptischenâ Botschaften ebenfalls an der Demonstration teilzunehmen. In Fridays for Future-Kreisen war vor dem ungebetenen Besuch gewarnt worden.
Wer sich das knapp 20-minĂŒtige Video von Nerlings Demo-Besuch in voller LĂ€nge anschaut, mag die Aufregung im Vorfeld zunĂ€chst nicht nachvollziehen. Es handelt sich um einen Zusammenschnitt von belanglosen Szenen, in denen sich Nerling unter die Demonstrierenden mischt und das Geschehen ironisch bis abfĂ€llig kommentiert. Der âVolkslehrerâ, das wird schnell klar, will weniger dokumentieren als vielmehr die Protestierenden lĂ€cherlich machen: Im Stil einer satirischen Reportage, mit rotem Mikrofon und ĂŒberdrehter Korrespondenten-AttitĂŒde versucht er, Demo-Teilnehmer*innen als verblendet und naiv vorzufĂŒhren, ohne dass diese sich dessen bewusst wĂ€ren.
Allerdings ist die Ablehnung der Organisator*innen ihm gegenĂŒber verstĂ€ndlich, denn Nerling ist kein Unbekannter: Der bis zu seiner Suspendierung im Mai 2018 an einer Berliner Grundschule tĂ€tige Lehrer wurde mehrfach wegen Volksverhetzung verurteilt und gilt unter Holocaust-Leugner*innen und sogenannten ReichsbĂŒrger*innen als Kultfigur. Seit sein YouTube-Kanal regelmĂ€Ăig gesperrt wird, ist er vor allem auf Bitchute aktiv. Die Plattform fungiert fĂŒr den internationalen Rechtsextremismus als Alternative zum strenger regulierten YouTube. Vor diesem Hintergrund rechtsextremer âGegenöffentlichkeitâ ist auch das hier analysierte Video zu lesen. Denn Nerling versucht nicht nur, die Klimaschutz-Aktivist*innen zu verhöhnen. Wie sich im Verlauf des Videos zeigt, geht es ihm vor allem darum, sie in die reaktionĂ€re ErzĂ€hlung von linker Gewalt, bedrohter Meinungsfreiheit und staatlichem Kontrollverlust einzuspinnen.
DafĂŒr setzt das Video auf eine simple Skandal-Dramaturgie: Nach der heiteren Exposition lĂ€sst Nerling die Handlungskurve ansteigen, indem er sich als unerwĂŒnschte Person inszeniert. Die Aufnahme von zwei Demonstrantinnen, die sich seinem Mikrofon verweigern, wird nachtrĂ€glich untertitelt mit: âErste Behinderungen meiner journalistischen Arbeit seitens des Veranstalters zeichnen sich ab.â Als Nerling kurz darauf von einem Ordner gebeten wird, den Platz zu verlassen, beschwert er sich bei einem sich unbeeindruckt zeigenden Polizisten, er sei âangerempeltâ und âgenötigtâ worden. DafĂŒr finden sich in seinen Aufnahmen zwar keinerlei Belege â aber der Ton fĂŒr das weitere Geschehen ist gesetzt, die Rollen sind verteilt: Die Protestierenden werden als gewalttĂ€tige Feinde einer freien Berichterstattung gezeichnet, Nerling ist das vermeintliche Opfer, und die Polizei kann die Pressefreiheit nicht schĂŒtzen.
Als ein Demonstrant versucht, einer am Rand stehenden Gruppe von Gegendemonstrant*innen ihre Schilder zu entreiĂen â diese zeigen ein Cover des rechtsextremen Compact-Magazins â, lĂ€uft die Handlung auf den Höhepunkt zu (Untertitel: âErste gewalttĂ€tige Ăbergriffe von Linksextremen…â). Die nĂ€chste Szene zeigt, wie die rechten Gegendemonstrant*innen von einigen Antifa-Aktivist*innen unter nachdrĂŒcklichen âHaut ab!â-Rufen, aber ohne körperliche Gewalt, vom Platz geleitet werden (Untertitel: â…mĂŒnden in eine hysterische lynchmob-artige AtmosphĂ€reâ). Als die Polizei Nerling kurz darauf wegen der Unruhe um seine Person von der Versammlung ausschlieĂt, triumphiert er kaum verhohlen, sich als Protagonist einer Bewegung gerierend: âWir haben wieder mal bewiesen, dass das freie Wort unterdrĂŒckt wird.â Nerling missbraucht so die Rolle des Berichterstatters, um Sachverhalte zu verdrehen und abseitige Behauptungen aufzustellen.
Nerlings Auftritt kann als typisches Beispiel fĂŒr rechtsextreme Aufmerksamkeitsstrategien im Social Web dienen: Durch Provokation, gespielte Empörung und subtile Szene-Codes wird das Sichtbare so umgedeutet, dass es das eigene Weltbild zu bestĂ€tigen scheint. Es dominieren plumpe Behauptungen und geraunte Vermutungen, die in Verbindung mit dem Reportage-Stil vermeintliche Evidenz und Nachrichtenwert erlangen.
Das Video lĂ€sst sich als Versuch verstehen, in einer rechtsextremen âGegenöffentlichkeitâ Zustimmung zu erlangen und das reale PersonenverhĂ€ltnis auf der Veranstaltung (ca. 25 000 Protestierende fĂŒr den Klimawandel gegenĂŒber einer kleinen Anzahl von Provokateur*innen) in einen konstruierten Kampf um Kommunikationsmacht zu verkehren. DafĂŒr ist es elementar, dass die Inszenierung durch das Mitwirken anderer â in physischer Anwesenheit und online â bestĂ€tigt wird. Im GesprĂ€ch mit einem scheinbar zufĂ€llig getroffenen Sympathisanten (âmeinem Aufruf gefolgtâ) behauptet Nerling darum gegen Ende des Videos, es seien noch mehr seiner AnhĂ€nger*innen vor Ort gewesen (er âhabe nur nicht alle gesehen …â). TatsĂ€chlich findet sich auf YouTube ein siebenminĂŒtiger Demo-Livestream, indem ein User angibt, âdem Ruf des Volkslehrers gefolgtâ zu sein, ihn aber nicht finden zu können. In anderen Videos wird auf den von Nerling behaupteten âSkandalâ Bezug genommen und gegen den âKlimafaschismusâ, gegen âmilitante Antifasâ und gegen Greta Thunberg gehetzt.
Wie oft das Video tatsĂ€chlich angesehen wurde, lĂ€sst sich nicht sagen, da es von YouTube mehrfach gelöscht wurde. Die verfĂŒgbaren Zahlen aber sprechen dafĂŒr, dass es vor allem in einer kleinen, radikalisierten Kommunikationsblase rezipiert wird. Wenn dem an sich unspektakulĂ€ren Video also keine Breitenwirkung attestiert werden kann, so steht es doch exemplarisch fĂŒr eine Reihe Ă€hnlicher Webvideo-Inszenierungen, mit denen Rechtsextreme (Beatrix von Storch, Lisa Licentia…) im Rahmen demokratischer StraĂenproteste, Aufmerksamkeit provozieren. Die Penetranz dieser Indienstnahme geht mit der Gefahr einer Verbreitung rechtsextremer Positionen jenseits etablierter Netzwerke einher.
Tobias Gralke
Meta
URL: Youtube / Bitchute (k.A.)
Stand: MĂ€rz 2020
Letztes Upload-Datum: 29.3.2019 (Bitchute), 3.9.2019 (Youtube),
Kanal: Youtube / Bitchute
Produktion: Der Volkslehrer
LĂ€nge: 19:19 Minuten
Aufrufe: 2043 (Bitchute), 349 (Youtube)
Kommentare: 7 (Bitchute), 4 (Youtube)
Likes/Dislikes: 27 zu 0 (Bitchute), 7 zu 10 (Youtube)